Metamorphose einer Ostthüringer Landschaft.
Ein künstlerischer Aufarbeitungsprozess
Bildbeschreibungen von Constanze Müller
Wolfgang Schwarzentrub (geboren 1954 in Gera) erzählt in seinem Zyklus zum Uranabbau bei Ronneburg vom Veränderungswillen des Menschen, der dabei zur Ressourcengewinnung gleichzeitig gewalttätig und verschandelnd, andererseits auch gestaltend nach einem bestimmten Konzept agiert. Mit seinen Arbeiten stellt Schwarzentrub die Frage, ob beide Methoden nicht eigentlich funktionsgetrieben und ausbeutend sind, nur zu unterschiedlichen Zwecken: Denn auch bei Revitalisierungsprozessen wie in dieser Region werden die Gebiete niemals gänzlich der Natur zurückgegeben. Würde der Mensch nicht eingreifen, die Natur holte sich das verlorene Terrain zurück. Warum also lässt man keine Wildheit zu — war dieses Areal als Raum für den Menschen zuvor doch auch nicht vorhanden. Die Antwort liegt in unserem Verständnis von Landschaft und dem Umgang mit der Natur begründet. Der Zyklus zeigt, dass Natur im Anthropozän eine permanente Nutzung erfährt, eine stetige Gestaltung dieser zu einer Landschaft nach menschlichem Vorbild und Bedarf.
In seinem Zyklus stellt Wolfgang Schwarzentrub zwar nicht in rein chronologischer Weise, jedoch den Prozess des Uranabbaus und den Weg zur Veränderung der Landschaft betonend, zehn Bilder vor, die jeweils einen anderen Aspekt dieses Prozesses fokussieren. Die Abfolge beginnt mit der Öffnung der Erde. In verschiedenen weiteren Bildern wird der dauerhafte Prozess des Abbauens während der Zeit der DDR dargestellt bis hin zu den Revitalisierungsplänen der Nachwendezeit. Die Titel der einzelnen Arbeiten geben erläuternd Hinweise darauf, was dargestellt ist.
Aus seinem autobiografischen Erleben als Künstler, der in Kaimberg nahe dem Gessental aufgewachsen ist, arbeitete er sich am Zyklus ab und versuchte „das, was da geschah“ zu erfassen und zu verstehen. Seine Auseinandersetzung bildet einen Blick in die Vergangenheit, der die Zukunft befragt.
Die zehn gleichformatigen Acrylgemälde mit einer Größe von 120×140cm sind 2017 entstanden und wurden auch parallel bearbeitet. Diese Gleichzeitigkeit spiegelt sich in einer wiederholenden Verwendung der Farben oder der Strukturen. Jedes Bild basiert auf verschiedenen Vorskizzen, in denen sich der Künstler den Bildmotiven vor Ort genähert hat. Vom konkreten Motiv bewegte er sich in der Auseinandersetzung mit den Geschehnissen immer weiter zu einer gestischen Abstraktion, die persönliche Eindrücke und Erfahrungen sowie Gefühle zum Erlebensprozess reflektieren. Durch Übermalungen ist sein Abarbeitungsprozess am Schicksal der Heimat erkennbar.
Seine Werkzeuge nur andeutend, gestaltete Schwarzentrub alleinig mittels Gestik, Farbduktus und Farbauftrag. In der Anwendung verschiedener Maltechniken werden die Energien sichtbar, die der Künstler thematisiert.
Das Gessental
Das Gessental ist ein ca. 7 km langes Seitental der Weißen Elster und reicht
von der Ronneburger Hochfläche bis zur tiefer gelegenen Elsteraue bei
Gera-Pforten. Inmitten des von Landwirtschaft geprägten Gebietes hat sich
auf Grund jahrtausendlanger menschlicher Siedlungstätigkeit eine
vielgestaltige Kulturlandschaft erhalten. In der Talaue schlängelt sich der
Gessenbach, gesäumt von knorrigen und jungen Kopfweiden. Die bemerkenswerte
Vielfalt des Tales zeigt sich heute in 34 verschiedenen Biotoptypen auf nur
3 bis 4 km² Fläche mit über 400 Pflanzenarten, über 600 Käfer-, über 400
Schmetterlingsarten und 82 Brutvogelarten.
Zu Beginn des vorigen
Jahrhunderts galt das Tal des Gessenbaches als eines der landschaftlich
reizvollsten Gebiete in unmittelbarer Umgebung der damaligen Kurstadt
Ronneburg und der fürstlichen Residenzstadt Gera. Beliebt waren Wanderungen
zwischen beiden Städten. Sie führten durch alte dörfliche Siedlungen wie
Collis und Gessen und vorbei an einer Vielzahl von Wassermühlen.
Zwischen
1947 und 1990 wurden oberes und z. T. mittleres Gessental durch den
Uranerzbergbau völlig verändert. Die Dörfer Schmirchau und Gessen
verschwanden durch den Bau des Lichtenberger Tagebaues, in das
Gewässersystem wurde massiv eingegriffen. Mit der Entwicklung des
Uranerzbergbaues um Ronneburg und im oberen Gessental wurde die Bahnlinie
zwischen 1952 und 1990 zum täglichen Tranportmittel für eine große Zahl von
Bergarbeitern zu den Ronneburger Schächten. Allerdings machte sich bereits
1966 eine Streckenverlegung der „Gessental-Bahn“ durch den Lammsbachgrund
erforderlich. Durch Rutschung der Nordhalde wurde die Ortschaft Gessen z. T.
verschüttet und die Verlegung der Bahnlinie unumgänglich.
Der erforderliche
Neubau von Bahndämmen für die neue Streckenführung riegelt seit 1968 das
Gessental ab und veränderte dessen Charakter wesentlich. Erst im Rahmen der
Gestaltung der Neuen Landschaft zur Bundesgartenschau Gera und Ronneburg
2007 wurde das Gessental im Oktober 2004 durch Brückenbau und
Bahndammöffnung wieder durchgängig begehbar.
(Quelle: Sonderausstellung des Museums für Naturkunde der Stadt Gera)
Öffnung
2017, Acryl auf Leinwand, 120×140 cm
Wolfgang Schwarzentrub
zum Bild
0:40
Das Bild Öffnung stellt den Einstieg in den Zyklus dar. Es zeigt den ersten Schritt im Abbauprozess,
nämlich das Suchen, das Bohren, das Öffnen der Erde und das vertiefende Graben bis das gesuchte Material zum
Vorschein kommt.
In der Mythologie übernahmen früher Zwerge das Eindringen in die Erde, da sie — in Anlehnung an die Vorstellung von
Elementargeistern — in der Erde oder sehr nah am Boden wohnten und die Elemente der Erde bewachten. Das kleine Haus
der sieben Zwerge im Märchen Schneewittchen zeugt von dieser Vorstellung. In früheren Zeiten, als die Menschen die
Dinge der Erde als ‚beseelt‘ begriffen, stellte die Erde und alles in ihr liegende, die Höhlen, Grotten oder Tunnel,
Orte des Geheimnisses und des Gefährlichen dar. Noch in Zeiten Goethes, also im 18. Jahrhundert, wurden die Elemente
der Erde als magisch oder ‚geistig‘ angesehen, die von Zaubern berührt waren. So folgte man der
„Elementargeisterlehre“ von Paracelsus. Auch der bergbauaffine Schriftsteller Novalis, der „Erfinder“ des Symbols
der Blauen Blume in der Romantik, entwickelte im Kontext seiner bergbaulichen Forschungen an der Bergakademie in
Freiberg die Vorstellung von der Durchdringung der Welt und ihrer Dinge mit dem Geistigen. Erst mit der
Industrialisierung und der damit verbundenen Unterwerfung der Natur durch Maschinen und Technik verlor der Mensch
weitestgehend die Ehrfurcht vor der Erde und war dazu in der Lage, mit ungeheurer Gewalt auf sie einzuwirken.
Die hier dargestellte „Öffnung“ ist also kein vorsichtiges Herantasten, sondern ein Eindringen in die Tiefen und
ein Hervorbringen des gesuchten Materials. Die Spuren, die an der Erde hinterlassen werden und die Schwarzentrub
mittels verlaufenden Strukturen sichtbar macht, verstärken den Eindruck des Eindringens und Bohrens, das alles mit
sich reißt, was in der Umgebung ist. Wie ein Sog werden die Schichten der Erde in die Tiefe gezogen und miteinander
vermengt. Die Öffnung der Erde um Bodenschätze zu fördern und ihre Standorte auszumachen, ist eine gezielte
Zerstörung, die auch durch die Farbwahl deutlich wird. Einerseits entspricht der Grau-Schwarzton der chemischen
Veränderung, die hervortritt, wenn der Boden an uranhaltigen Stellen „geöffnet“ wird — das zunächst zu fördernde
Material ist der Uraninit, ein pechschwarzer Stein, auch Pechblende genannt, der neben Uran verschiedene weitere
Metallarten enthält und radioaktiv ist. In einem langwierigen Auswaschungsprozess werden die ungewollten Stoffe vom
begehrten Uran getrennt — eine Technik, die immense Kubikmeter Wasser benötigte und damit höchst umweltschädigend
war.
Andererseits symbolisiert die dunkle Farbe das Tiefe und Abgründige der Erde, deren Innenleben aufgerissen wird.
Dass das Bild dominierende Gelb, welches an den Stellen, wo es auf das Blau trifft, unangenehm Grün-Gelb zu wirken
beginnt, mag dem Betrachter gleichzeitig Gefahr anzeigen und auf ungesunde chemische Prozesse hinweisen, die mit dem
Uranabbau einhergehen. So erinnert dieser Gelbton auch an das Zeichen für Radioaktivität.
”Aufgewachsen bin ich in Kaimberg, einem zu Gera eingemeindeten Dorf in
Ostthüringen. Zwischen Kaimberg und der nicht weit entfernten Stadt Ronneburg, befand sich im Tal gelegen das Dorf
Gessen. Als Kind konnte ich dem ortsansässigen Schneidermeister beim Kürzen von Hosen zusehen oder zu sonntäglichen
Spaziergängen die Talmühle mit dem Gondelteich erleben und eine Waldmeisterlimonade genießen. Zu dieser Zeit hatte
die SDAG Wismut schon seit etwa 10 Jahren mit dem Uranerzbergbau in der Region um Ronneburg begonnen und die
sogenannten Gessenhalden, auch Nordhalden genannt, wuchsen ab 1962 täglich an. Zunächst waren diese noch auf Distanz
zum Ort.“
Annerose Kirchner: Spurlos verschwunden. Dörfer in Thüringen – Opfer des Uranabbaus,
Christoph Links Verlag GmbH Berlin, Seite 141/142
3:10
Die Wassermühlen im Gessental
Entlang des Gessenbachs und dem Kleinen Gessenbach wurden seit dem 15. Jahrhundert bis in die 50er Jahre des
vorigen Jahrhunderts sieben Wassermühlen als Kornmühlen und Sägewerk betrieben. Neben der bäuerlichen Nutzung
lockten die gleichermaßen als Ausflugslokale betriebenene Mühlen in Collis und Gessen zahlreiche Gäste aus Gera
und Ronneburg ins Tal zum Wandern und zur Erholung.
Spuren, Untersuchung
2017, Acryl auf Leinwand, 120×140 cm
Wolfgang Schwarzentrub
zum Bild
0:26
Im Bild Spuren, Untersuchung verdeutlicht Schwarzentrub die
ungeheure Kraft des Chaos, der urwüchsigen, titanenhaften Gewalten, die das
Aufbrechen und Untersuchen der Erdschichten mit sich bringt. Wilde Gestiken
evozieren eine Dynamik des Wülens, des Buddelns und Grabens, das die
ungeheuren Massen an Erde zeigen soll, die durch die Bagger bewegt werden.
Sie verdeutlichen auch den Eindruck von Gefahr und Verschlingen, das alles
mit sich reißt; chancenlos zu überleben.
Uran lag bei Ronneburg in einer Tiefe von mehreren hundert Metern und wurde
im offenen Tagebau, aber auch unterirdisch abgebaut. Die oberen Erdschichten
wurden mithilfe großer Schaufelradbagger abgetragen, in den Abraum hinter
dem Bagger verfrachtet und anschließend zu großen Halden aufgetürmt. Die
vier spitzkegligen, schwarzgrauen Ronneburger Abraumhalden, die für
Jahrzehnte und Generationen landschaftsprägend und identitätsstiftend waren,
entstanden durch das Abtragen der „unnützen“, oberen Erdschichten. In der
Negativform entstand ein terrassenförmiger Abraum.
Die Darstellung reflektiert auch autobiografische Erfahrungen von Wolfgang
Schwarzentrub, der das „Eingraben“ der Bagger und deren Folgen bereits als
Kind um seinen Heimatort miterlebte. Der Ronneburger Tagebau wurde ab 1946
extensiv ausgebaut und verschlang bis 1990 ein Terrain von
ca. 140 Hektar auf dem 150 Millionen Kubikmeter Erde bewegt
wurden. Das Uran aus dem größten Uranvorkommen Europas wurde in die
Sowjetunion transportiert und dort zur Atomproduktion eingesetzt.
Die gestischen Farbspuren zeugen von der Vermischung der Erdschichten, die
der Umwuchtungsprozess hervorrief. Die Gewalt und Krafteinwirkung, die
Bagger und andere technische Geräte an der Erde vornahmen, sind wiederum als
unsichtbare „Geister der menschlichen Zerstörung“ erkennbar, die Spuren und
Fakten schaffen, ohne, dass sie im Bild konkret sichtbar sind. Die Dynamik
der Farbspuren sowie die Pinselbewegungen leiten den Blick des Betrachters
auf ein Zentrum im unteren rechten Teil des Bildes. Ist hier der Schatz
vergraben?
Studien und Skizzen von 1984 bis 1987
Gewinnung
2017, Acryl auf Leinwand, 120×140 cm
Wolfgang Schwarzentrub
zum Bild
0:47
Im dritten Bild Gewinnung wird der Abbau von Uranerz wie in einem unterirdischen Labyrinth gezeigt.
Verschiedene Ebenen, die durch Strukturelemente an Brücken, Lianen oder Seile erinnern, verzahnen sich ineinander,
geben Durchblicke und Einblicke preis oder verdecken das, was man als Betrachter gerade zu erkennen glaubte.
In diesem Bild ist die Arbeitsweise des Künstlers wohl am stärksten nachvollziehbar — Ebenen der Abstraktion
liegen übereinander, so dass das konkrete Abbild der Szene noch erahnbar ist, jedoch von abstrakten Formen und
Farbspielen immer stärker übermalt wird. Der Suchprozess des Künstlers, eine Form, ein Bild für diese gewaltsamen
Prozesse zu finden, wird nachempfindbar.
Die irre Perspektive und Raumwirkung sowie die Verwendung der Farbe verdeutlichen jedoch auf der Bedeutungsebene
auch erzählende Momente. So bilden die gelben Flächen Referenzen zum Ablauf des Arbeitens unter Tage — im Dunkeln
erhellen Scheinwerferlichter die Szenerie. Die lianenartigen Gebilde erinnern an Rohre, die das eindringende Wasser
bändigen und durch ein verzweigtes Rohrleitungssystem abpumpen. Das unterirdische Infrastruktursystem bestand aus
einem Netz von Rohrleitungen und Schienensträngen tausender Kilometer. Der im Tal verlaufende Gessenbach wird durch
die Blautöne erinnert. Insgesamt lässt das Bild die enorme Logistik, sowie die aufgewendete Organisationskraft
erahnen, die die technischen, menschlichen Erfindungen benötigen um diese immense Gewaltanwendung an der Erde
auszuüben.
Gleich dem Titel Gewinnung kann hier auch von einer Gewinnung des Erkennens gesprochen werden, da das Bild
die
einzelnen Verständnisebenen, die der Künstler in seiner Arbeit untersuchte, offen zeigt. Die Farbe bleibt zudem
als Struktur- und Bedeutungselement sichtbar und erzählt damit als Werkzeug des Künstlers von dessen Annäherungs-
und Verstehensprozess, die Einflussnahme des Menschen zu verstehen und zu begreifen. Schwarzentrub verwendet die
Farbe hier nicht als illusionistisches Mittel, sondern bezieht ihre Materialität ganz bewusst als
verständnisförderndes Material mit ein.
Studien zum Abbau
Vernässung
2017, Acryl auf Leinwand, 120×140 cm
Wolfgang Schwarzentrub
zum Bild
1:03
Im Bild Vernässung wird der Prozess der steten Verwässerung, d. h.
der nötigen ständigen Befeuchtung der Halden wie auch der austretenden
Flüssigkeiten reflektiert. Aufgrund chemischer Reaktionen schwelten die
Halden permanent und verbreiteten einen bestimmten, identitätsstiftenden
Geruch in der Umgebung, der die Nähe der Halden bereits im Voraus
ankündigte. Anwohner*innen berichteten, dass nach der Intensität des Geruchs
die Windrichtung bestimmbar war und damit Wettervorhersagen gemacht werden
konnten.
Ähnlich wie im Bild Gewinnung sind auch hier die Rohrleitungen und die
Strukturen des Erdinneren während des unterirdischen Uranabbaus offengelegt
und sichtbar. Als unnatürliche Gebilde, die von Menschen geschaffen,
geglättet und maschinell hergestellt wurden, stehen die Rohrverzweigungen im
Kontrast zur aufgewühlten, chaoshaften „Landschaft“ des Untergrundes. Die
rostrote Farbe reflektiert die Farbigkeit der Flüssigkeiten, die sich
sammelten — ein Gemisch aus dem Rost der Rohrleitungen — die Wasser, Kälte
und Wärme ausgesetzt waren und dadurch einen hohen Verschleiß hatten — wie
auch aus dem Gemisch der ausgewaschenen Erdschichten, in denen sich Eisen
und an- dere Metalle befanden.
Wie zwei verschiedene Welten treffen hier menschengemachte Technik und Natur
aufeinander. Fast schon kämpfend greifen sie nacheinander, schlingen sich um
sich oder ziehen sich gegenseitig die Energie „aus den Adern“. Die irre
Perspektive und Raumwirkung sowie die Verwendung der Farbe verdeutlichen
jedoch auf der Bedeutungsebene auch erzählende Momente. So bilden die gelben
Flächen Referenzen zum Ablauf des Arbeitens unter Tage — im Dunkeln erhellen
Scheinwerferlichter die Szenerie. Die lianenartigen Gebilde erinnern an
Rohre, die das eindringende Wasser bändigen und durch ein verzweigtes
Rohrleitungssystem abpumpen. Das unterirdische Infrastruktursystem bestand
aus einem Netz von Rohrleitungen und Schienensträngen tausender Kilometer.
Der im Tal verlaufende Gessenbach wird durch die Blautöne erinnert.
Insgesamt lässt das Bild die enorme Logistik, sowie die aufgewendete
Organisationskraft erahnen, die die technischen, menschlichen Erfindungen
benötigen um diese immense Gewaltanwendung an der Erde auszuüben.
Gleich dem Titel Gewinnung kann hier auch von einer Gewinnung des Erkennens
gesprochen werden, da das Bild die einzelnen Verständnisebenen, die der
Künstler in seiner Arbeit untersuchte, offen zeigt. Die Farbe bleibt zudem
als Struktur- und Bedeutungselement sichtbar und erzählt damit als Werkzeug
des Künstlers von dessen Annäherungs- und Verstehensprozess, die
Einflussnahme des Menschen zu verstehen und zu begreifen. Schwarzentrub
verwendet die Farbe hier nicht als illusionistisches Mittel, sondern bezieht
ihre Materialität ganz bewusst als verständnisförderndes Material mit ein.
”Mit Neugier, großem Respekt und
Interesse wurde dieses Gebiet von mir erkundet, zwischen gelblichen Dämpfen
im herabrollenden Gestein wurde dort auch manchmal nach ‚Katzengold‘
gesucht. Die mit bläulichem Morast verdreckten SIL-Kipper auf der Rollstraße
machten einen ungeheuren und mächtigen Eindruck auf mich. Die Fahrradtouren
nach Ronneburg zu den Urgroßeltern führten mich durch Gessen, vorbei am ewig
bellenden weißen Spitz am großen Hoftor, weiter entlang am Friedhof ins Tal
hinein. Dort wurden die Geräusche der nahen Kipper, der Geruch des feuchten
schon eisenhaltigen Bodens und die nach Gummi und Diesel riechende warme
Luft aus dem Bewetterungsschacht bis zur Mittelmühle vorm Mühlteich
mitgenommen. In Ronneburg gab es dann ein Kinderbier, das
‚Doppel-Caramel‘.“
Mineralien im Raum Ronneburg
Die im Ronneburger Raum nachgewiesenen 73 Minerale blieben von der SDAG Wismut weitgehend unbeachtet. Für die
„Wismuter“ galt natürlich ein generelles Sammelverbot, aber dennoch gelangten einige dieser kleinen Kostbarkeiten
auf verschiedenen Umwegen als Schaustücke in die Schrankwände der häuslichen Wohnungen. Heute kennt man von den
Culmitzscher und Ronneburger Lagerstätten 244 Mineralarten, somit gehört Ronneburg zu den bedeutenden deutschen
Mineralfundpunkten. Viele dieser Funde sind im Naturkundemuseum Gera zu besichtigen.
Annerose Kirchner: Spurlos verschwunden. Dörfer in Thüringen – Opfer des Uranabbaus, Christoph Links
Verlag GmbH Berlin, Seite 150/151
2:07
Haldenrutsch Gessen
2017, Acryl auf Leinwand, 120×140 cm
Wolfgang Schwarzentrub
zum Bild
1:21
Das Bild Der Haldenrutsch bei Gessen erzählt von einem historischen
Ereignis. In einfachen, abstrakten Zeichen wird auf die Katastrophe
hingewiesen, die 1966 zur Zerstörung des Dorfes Gessen führte. Eine
besonders hoch aufgetürmte Halde rutschte auf das Dorf zu und begrub
Friedhof und Straßen und machte viele Häuser unbewohnbar. Der Wiederaufbau
erschien kostspielig, dennoch versuchte man die Halde zu sichern und das
Dorf zu retten. Die Gessener selbst entschieden sich jedoch mehrheitlich,
das Dorf im Austausch von Entschädigungszahlungen aufzugeben.
In schwarzen, dramatischen Farben schildert das Bild dieses Ereignis als ein
trauriges Beispiel des sonst so heroisch dargestellten Uranabbaus der
Wismut, der als eines der wichtigsten Zeichen für die Deutsch-Sowjetische
Freundschaft und die wirtschaftliche Weiterentwicklung der sozialistischen
Länder stand.
Alle Dynamik der Farben und Formen zielen auf den linken unteren Teil des
Bildes. Das schnelle „Fallen“ der großen Erdmassen, die Häuser, Bäume und
Felder unter sich begruben und ein Dorf letztlich vernichteten, welches
eigentlich nicht zur Zerstörung (wie andere) vorgesehen war, wird
eindrücklich deutlich. Das Ereignis kann als Rückschlag der Natur gesehen
werden, die gegen die Gewaltanwendung des Menschen aufbegehrt.
Die Erdmassen werden durch die wiederkehrenden Farben Pechschwarz, Türkis,
Gelb und Braun dargestellt und lassen spätestens jetzt einen Farbkosmos
erkennen, den Schwarzentrub für diesen Zyklus erstellt hat und ikonografisch
wiederholt.
”Im Oktober 1966 kam eine Halde durch
zu hohe Feuchtigkeit ins Rutschen, direkt auf das Dorf zu. Bäume wurden
mitgerissen, die Straße unpassierbar, die Schlammlawine erreichte auch den
Hof des Schneidermeisters und kam dort zum Stoppen. Durch diese unheilvolle
Katastrophe war der gesamte Ort direkt und indirekt extrem stark betroffen:
Die Felder im Umfeld konnten nicht mehr bewirtschaftet werden. Der
kontaminierte Boden war zu belastend für Mensch und Tier. Der Ort war nicht
mehr lebensfähig, die Zufahrten versperrt, der Friedhof zerstört, es wurde
evakuiert. Die Eisenbahnlinie musste umverlegt werden, neue Straßen und Wege
entstanden. Das Tal wurde komplett umgestaltet. Das Dorf verschwand unter
einer neu entstanden Abraumhalde. Das Gebiet hinter Stacheldraht wurde auch
für mich zur terra incognita. Später, ab den 1980er Jahren haben
mich die starken, strukturellen landschaftlichen Veränderungen durch die
SDAG WISMUT auch künstlerisch beschäftigt.“
Annerose Kirchner: Spurlos verschwunden. Dörfer in Thüringen – Opfer des Uranabbaus, Christoph Links
Verlag GmbH Berlin, Seite 153/154
0:43
Sprengung Tagebau Lichtenberg
2017, Acryl auf Leinwand, 120×140 cm
Wolfgang Schwarzentrub
zum Bild
0:48
Im Bild Sprengung wird eine weitere Gewaltanwendung dargestellt. In
der Abfolge der Bilder und der inneren Logik des Zyklus könnte man es als
Gegenreaktion, als Vergeltungstat des Menschen lesen, der den Haldenrutsch
von Gessen, ein Ereignis mit dem die Natur zurückschlug, mit einer
permanenten Wundzufügung an ihr, nun begleicht.
Für die Erweiterung des Ronneburger Uranabbaugebietes und zum Vordringen in
die unteren Schichten wurden Sprengungen von hartem oder unwegsamen Gelände
oder Erdschichten vorgenommen. Die Sprengungen waren weithin in der Umgebung
zu hören und stehen einerseits für den menschlichen Erfolg in der Bezwingung
der Natur wie auch für die Verwundung dieser durch eine extrem rabiate und
gewaltvolle Methode.
Das Bild stellt die terrassenförmige Gestaltung des Abraumes dar, der durch
die Sprengungen bzw. die temporäre Gestaltung des Geländes entstand. Um die
tonnenschweren Maschinen im Gelände und die Sedimente bewegen zu können,
mussten befahrbare Wege angelegt werden. Der Abbau wurde im
Drei-Schichtsystem durchgeführt, da jeder Stillstand der Maschinen hohe
Kosten verursachte und das In-Fahrt-Kommen der Bagger viel Zeit verschlang.
Die großen Eruptionen, die eine Sprengung auslöste, zeigt die linke Seite
des Bildes, bei der Sedimente in die Luft geschleudert werden. Die schwarzen
Töne stellen dagegen die terrassenförmige Struktur des Geländes dar. Auch
hier begegnen dem Betrachter wieder die gelb-grünlichen Farbflächen der
Scheinwerfer, die die nächtliche Szenerie erleuchteten und das Unerbittliche
dieser Arbeit deutlich machen. Die Fallbewegungen, die die farblichen
Strukturen links anzeigen, verdeutlichen die Dynamik und die Wucht mit der
die Erdmassen in die Höhe geschleudert wurden. Eine vernichtende Kraft, die
jedoch alleinig zum Ziel hatte, den „Schatz“ ans Tageslicht zu bringen.
Studien zum Tagebau
Annerose Kirchner: Spurlos verschwunden. Dörfer in Thüringen – Opfer des Uranabbaus, Christoph Links
Verlag GmbH Berlin, Seite 157/158
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Lichtenberg
2017, Acryl auf Leinwand, 120×140 cm
Wolfgang Schwarzentrub
zum Bild
0:53
Das Bild Lichtenberg tritt im Gegensatz zu allen bisher
betrachteten Werken in Distanz zu den Ereignissen des Uranabbaus und stellt
wie auf einem klassischen Landschaftsgemälde den Ort des Geschehens, den
Tagebau Lichtenberg dar. Die vier markanten Halden, Wahrzeichen der Region
Ronneburg, stehen im Hintergrund. Davor erstreckt sich die malträtierte
Erde, in die eine Schneise gegraben wurde. Am Rand werden die Restflächen
erkennbar, die wie Uferformationen das wasserlose Erdmeer einfassen.
Im Bild wird ein Gegensatz deutlich, der gleichzeitig als Wahrheit und
Utopie, als Hässlichkeit und Schönheit interpretiert werden kann. Zeigt die
durchwühlte Erde im Vordergrund den Zustand der Landschaft, werden Gewühl,
Mischung und Chaos durch die unterschiedlichen Farbtöne und -aufträge
deutlich, so vermittelt der Hintergrund, d. h. die weniger angetastete
Natur, Ruhe, fast Sanftheit. Soll hier ein Wunsch, eine Vision verdeutlicht
werden? Oder ist diese Darstellung auch als Konzept für die Suche nach einer
Schönheit in dieser geschundenen Landschaft zu lesen? Sollte hier also eher
von „geschundenen Land-Stücken“ die Rede sein, die wie Inseln aus der sonst
unberührten Natur herausfallen?
Unbestritten ist, dass das Gelände des Ronneburger Uranabbau eine Adresse
war, zu der nur „die Wismuter“, sozial privilegiert und heroisiert, Zugang
hatten und über deren Vorkommnisse aus dem Arbeitsalltag nicht berichtet
werden durfte. Die Gegend und ihre Menschen waren dadurch jedoch auch
ausgegrenzt und auf gefährlichen Eilanden ‚festgehalten‘.
Interessant wäre zu bestimmen, ob der dargestellte gelbliche Himmel der
Himmel der chemischen Verschmutzung und der radioaktiven Strahlen ist. Oder
der der Sonne, die die Erde wärmt und damit einen doch auch positiven Blick
auf diese verlorene Landschaft wirft.
Skizzen und Studien der Kegelhalden
”
Die Wismut GmbH – das bundeseigene Unternehmen mit Sitz in Chemnitz übernahm
1991 die Aufgabe eines der schwierigsten Umweltprojekte in Europa der
Gegenwart. Die intensive Sanierung der radioaktiv und kontaminierten
Betriebsflächen der vormaligen SDAG Wismut, diese war immerhin der
viertgrößte Uranproduzent aller Zeiten. Es sollte im Auftrag der
Bundesregierung eine Wiederbelebung dieser Landschaft stattfinden, welche
völlig vernichtet erschien. Das Tagebaurestloch Lichtenberg wurde das
zentrale Objekt aller übertägigen Sanierungsmaßnahmen der Wismut im
Ronneburger Raum. Bereits 1990 begann die Umlagerung der Gessenhalde in
dieses Tagebaurestloch. Die renaturierten Uranerzbergbaulandschaften um
Ronneburg und die Parkanlagen der ehemals wohlhabenden Industrie- und
Residenzstadt Gera bildeten 1995 den Ausgangspunkt für erste Planungen, diese
Region zur Durchführung der BUGA zu nutzen.
“
Kennzahlen zur WISMUT
Unter Führung der sowjetischen Militärverwaltung begann die systematische Suche nach Uranlagerstätten zunächst
im Erzgebirge und ab 1950 im Raum Ronneburg. Die bekannten radonhaltigen Quellen – Urquelle,
Schwefel-, Rasen-
und Eulenhofer Quelle – bildeten den Ausgangspunkt dazu. Das Uran wurde von 1946 bis 1953 von der UdSSR
nicht
bezahlt, es galt als Reparationsleistung.
1947
Bildung der Sowjetischen Aktiengesellschaft SAG WISMUT
1949
Zündung der ersten sowjetischen Atombombe in Semipalatinsk/Kasachstan
1950er
Anfang der 1950er Jahre entstehen im Ronneburger Raum die Bergwerke Lichtenberg, Schmirchau und Reust.
1953
Die DDR und die UdSSR unterzeichnen Abkommen über die Umwandlung von SAG Wismut in SDAG WISMUT.
1958
Mit der Auffahrung des Uranerzbergbaus Lichtenberg beginnt die Umweltzerstörung auch Übertage. Durch
endogene Brände müssen die heißen Gesteinsmassen abgelöscht werden, bevor diese mit Kippern zur Halde gefahren
und abgedeckt werden.
20.10.1966
Rutschung der Nordhalde auf Gessen: innerhalb von 20 Minuten rutschen 3 Mio. Kubikmeter mit einer
Länge von
650 m und einer Höhe von 70 m ab. Direkt betroffen sind die Ortsverbindungstraße
Ronneburg–Gessen,
mehrere Gebäude und der Friedhof von Gessen.
1976
Abschluss der Gewinnungsarbeiten im Tagebau: maximale Tiefe ca. 230 m, Tagebauvolumen ca. 150 Mio.
Kubikmeter. Der entstandene Krater bleibt bis 1990 nahezu unberührt und das zentrale Objekt aller übertägigen
Sanierungsmaßnahmen im Raum Ronneburg mit einer verbleibenden Tiefe von 150 m, einer Länge von
1600 m und einer
Breite von nahezu 1000 m.
31.12.1990
Der Uranerzbergbau wird eingestellt und hinterlässt tiefgreifende Schädigungen der Umwelt. Die DDR belegte
bis dahin den vierten Rang der Uran-Weltproduktion mit 216.000 Tonnen, die seit 1946 in Sachsen und
Thüringen
produziert und in die damalige UdSSR geliefert wurden. Der Krater des Tagebaus Lichtenberg, die umliegenden
Halden und die Betriebsanlagen sind nun die offenkundigen Merkmale und ein Erbe des Uranerzbergbaus. Halden
und Tagebau stellen eine noch schwere Gefahrenquelle durch Rutschungen an den Böschungen dar. Die in den
Tagbau zurückgekippten Steine enthalten noch radioaktive Komponenten. Die Gessenhalde mit dem höchsten
Gefährdungsgrad im Ronneburger Raum und einem Volumen von 7,6 Mio. Kubikmetern wird von 1990 bis 1995
umgelagert.
1991
Die UdSSR steigt per Staatsvertrag aus dem Unternehmen aus. Die SDAG Wismut geht in den Besitz der
Bundesrepublik Deutschland über und es wird die Wismut GmbH mit Sitz in Chemnitz gegründet. Seitdem fallen an
den Wismut Standorten im Rahmen der Sanierung noch 3350 Tonnen Uran an. Im Tagebau Lichtenberg gibt es im
Januar 1991 rund 1400 Kilometer offene Grubenbaue, 311 Mio. Kubikmeter Halden, 160 Mio.
Kubikmeter radioaktive
Schlämme. Der 84 Mio. Kubikmeter große Stauraum des Tagebaurestloches reicht nicht aus, um die gesamten
133 Mio. Kubikmeter Material aus der Halden- und Flächensanierung sowie dem Abbruch der Betriebsanlagen
unterzubringen. Mit dem überschüssigen Material wird eine Erhebung, die Schmirchauer Höhe, errichtet. Die
Arbeit an den industriellen Absetzanlagen dauert bis 2028 an. Hier lagern die Rückstände aus der Aufbereitung
der Uranerze. Die Ausgaben bis 2020 liegen bei ca. 6,8 Milliarden Euro, davon 3,6 Milliarden Euro in
Thüringen. Das 2020 aktualisierte Sanierungsprogramm reicht bis ins Jahr 2050 und benötigt nochmals
2,1 Milliarden Euro vom Bund. Die Bergbaubehörde stimmt einer Tagebauverfüllung zu: über 18 Jahre
verfüllt Europas
größte Kipperflotte den Tagebau mit Tagesleistung von 40.000 Kubikmetern Material.
2005
Die Kegelhalden Paitzdorf werden als die letzten der insgesamt 12 Halden in den Tagebau umgelagert.
2007
In der ehemaligen Sperrzone Tagebau Lichtenberg entsteht ein Wald-Offenland-Biotop-Mix von mehr als 500
Hektar. Die Gestaltung der Neuen Landschaft Ronneburg auf dem Gelände des ehemaligen Uranerztagebaus ist
einmalig. Anläßlich der BUGA können über eine Million Besucher diese erleben.
2008
Die Haldenumlagerung wird abgeschlossen: 135 Millionen Kubikmeter Material wurden auf dem Gelände des
ehemaligen Tagebaus Lichtenberg eingelagert.
2014
Der Aufschüttkörper Tagebau Lichtenberg besitzt nachweislich eine regionale Bedeutung als Lebensraum für
Avifauna im Biotopverbund von der Ronneburg-Seelingstätter Hochfläche zum Sprotte-Hügelland.
2020
Bis jetzt wurden ca. 12,5 Mio. Kubikmeter Wasser gereinigt. Die Wassererfassung und -behandlung bleibt
eine
wesentliche Aufgabe.
2021
In 29 Jahren haben Bohrtrupps 8000 Kilometer textile Dochte in die schluffigen Schlämme der
industriellen bsetzerhalden gedrückt. Im Juni 2021 erfolgt ein letzter Transport von Natururan aus
deutschen Bergwerken. Mit der Ausstellung Für die Menschen. Für die Umwelt. 30 Jahre Wismut GmbH
wird der gigantischeTransformationsprozess für die Bergbaufolgelandschaft dokumentiert.
Das Bild Vermessung bricht mit allen bisherigen
Darstellungsmustern. Über die Natur wird ein Raster der Geraden und der
Unterteilungen gelegt. Zeitlich springt der Künstler nun in die
Nachwendezeit als der Uranabbau aufgrund seiner Umwelt- und
Gesundheitsschäden gestoppt und das Land für eine Umnutzung vorbereitet
wird. Das Bild zeigt die planerischen Überlegungen, die Maßfertigkeit und
die Methoden mit denen die Entscheidung, wie mit diesem Landstrich verfahren
werden soll, vorbereitet wurde.
Alle Linien treffen sich in einem Punkt — die Suche nach dem Ziel scheint
unaufhaltsam und nicht schwer. Gab es Diskussionen, wie mit der Gestaltung
dieser völlig verlorenen Landschaft zu verfahren sei? Gab es
Ideenvorschläge? Alternativen? Wurden die ehemaligen Arbeiter*innen gefragt,
die anschließend in dieser Landschaft weiterleben sollen?
Die gewählten Farben versprechen Hoffnung — ein freudiges Rot, lichtes Grün,
hoffnungsvolles Gelb rasen nach einem Muster auf einen Punkt in der Ferne
zu. Davor — wie aufgeklebt wirkend — ein schematisches Abbild der
Vergangenheit, die man überwinden will.
Das Bild vermittelt die Schau neuer Visionen, auf die der Betrachter von
seinem Standpunkt aus hinter dem Geländer im Vordergrund blickt. Wie auf
einem Ausguck mit Blick in die Ferne ist dennoch die Weitsicht durch einen
schwarzen Himmel oder eine schwarze Wand verdeckt. Auch Planungen haben
Grenzen und manchmal werden auch Visionen in Rastern gedacht.
Studien zur Neuen Landschaft
Der Bergbauverein Ronneburg e.V.
Der Bergbauverein Ronneburg e.V. wurde am 1. Juli 1998 gegründet. Neben der Erhaltung und Pflege der
Bergbautraditionen Ostthüringens und der technischen Zeitzeugnisse der SDAG WISMUT für die Nachwelt wirkt der
Verein an der Popularisierung der Geschichte des Uranerzbergbaues der SDAG WISMUT mit.
Auf einer über 400 m2
großen Ausstellungsfläche im Schaubergwerk des Vereins werden Wissenswertes über Bergbautechnologien vermittelt
und Einblicke in den untertägigen Bergbau im Ronneburger Revier und die Arbeit der Kumpel in den ehemaligen
Uranerzgruben der SDAG Wismut gezeigt. Weiterhin pflegt der Verein das technische Denkmal Schacht 407,
welches das Maschinenhaus und das Schachtgebäude als übertägige Anlagen umfasst.
Als Erweiterung des Bildes Vermessung kann das Bild
Revitalisierung gesehen werden. Die Pläne sind nun konkret und der
Aufriss der neuen Landschaft in hoffnungsvollen Farben wie Wiesengrün und
Flussblau gemalt. In sich überlagernden Ebenen sind verschiedene Ansichten
übereinander gelegt und verdeutlichen wie an einer Pinnwand das kommende
Geschehen. Doch der Planer schaut durch zwei Stangen auf die Collage seiner
Vision. Ist sein Blick verstellt oder geben sie ihm Halt, weil sie an das
Rohrleitungssystem der Vergangenheit erinnern?
In der linken Bildhälfte wird die Ziellandschaft dargestellt: Statt
schwelender Halden, die für einige Generationen Heimat bedeuteten und
Identität stifteten, wird nun ein romantisches Landschaftsbild aus sanft
gestaffelten Hügeln anvisiert, die ein Konzept von Landschaft verdeutlichen,
dass die westeuropäische Kultur im 19. Jahrhundert kreierte. Die Postkarte
ist das nützlichste Produkt davon. Und ähnlich wie bei der Zerstörung der
Landschaft oder dem Anlegen der nötigen Infrastruktur für den Uranabbau wird
die Topographie wieder am Reißbrett nach menschlichen Wünschen gestaltet und
instrumentalisiert. Nicht mehr als Ressourcenspender soll dieses Land-Stück
nun dienen, sondern als Naherholungsgebiet für den stressgeplagten Städter,
der am Wochenende oder im Urlaub seine Freizeit dort verbringen will. Leider
verfolgt auch dieses Konzept, dass die Landschaft nicht als ihrer selbst
Willen versteht, die Nutzung dieser für wirtschaftliche Zwecke. Statt Uran
spendet sie nun eben Geld für die Kassen der Gemeinde, wenn Urlauber*innen
und Tagesausflügler*innen Gastronomie und Hotelerie nutzen. Warum überlässt
man die Natur nicht einfach mal sich selbst?
”
Anlässlich der BUGA 2007 wurde dann auch die Neue Landschaft im Gebiet
zwischen Gera und Ronneburg als ein Gebiet für Freizeit und Erholung frei
gegeben. Dennoch besteht weiterhin eine Sanierungsnotwendigkeit, um
auftretende Nachfolgeschäden beseitigen und kontrollieren zu können. So sind
die Flutung der Bergbauschächte bis heute ein andauerndes Betätigungsfeld,
das möglichst ohne neue Umweltbelastungen ablaufen sollte. Die Landschaft um
Gera hat in den letzten Jahrzehnten schmerz-hafte Eingriffe und umfassende
Veränderungen erfahren, welche neue Spuren hinterlassen werden. Für das nun
entstandene Landschaftsbauwerk ist eine vorwiegend forstwirtschaftliche
Nutzung vorgesehen. Das aktuelle Sanierungs-programm blickt bis in das Jahr
2050. Mit dem Bilderzyklus, möchte ich auf diese Landschaft reagieren,
welche mich biografisch stark beeinflusst hat und welche ebenso zu einem
Stück lebenswerter Heimat geworden ist.
“
Den Boden bereiten
2017, Acryl auf Leinwand, 120×140 cm
Wolfgang Schwarzentrub
zum Bild
0:59
Im Bild Den Boden bereiten sind Strukturen von Plänen noch leicht
zu erkennen, ist der Eingriff des Menschen nicht gänzlich verdeckt. Doch die
bunte Farbenpracht, die hoffnungsvolle, blumige Weise des Farbauftrages
lassen in diesem Bild ein naturnahes, lebendiges Land-Stück evozieren,
dessen Vergangenheit wirklich vergangen scheint. Nur an wenigen Stellen
deuten die schwarzen Flächen auf die dunklen Zeiten, auf die Wunden und
Höhlen, die unter der rosig bewachsenen Wiese noch immer liegen. Die
künstlich angehäufte Schmierchauer Höhe trägt dazu bei, das Gelände
abwechslungsreich und touristisch interessant zu gestalten, da sie Ausblicke
und „Höhenwanderwege“ ermöglicht. Der Plan ist aufgegangen — das Konzept der
Revitalisierung ist geglückt?
Auf den ersten Blick mag dies stimmen, doch Langzeiterfahrungen von
Revitalisierungsprojekten zeigen immer, dass die Natur ertragenes Leid nicht
so schnell vergisst und dass Flora und Fauna nicht auf Kopfdruck und ohne
Rückschläge anzusiedeln sind. Der Klimawandel addiert die Herausforderungen,
die auf solchen Projekten liegen. Es ist auch zu fragen, ob eine
Revitalisierung immer heißen muss, dass alle vergangenen Schandtaten
überdeckt und unsichtbar gemacht werden müssen. Die Spuren ihrer Nutzung
sind der Landschaft eingeschrieben und treten immer wieder hervor — egal wie
viele Erdschichten aufgetragen werden um eine romantische Vorstellung von
Natur zu gestalten.
Der Künstler wirft in diesem letztem Bild des Zyklus einen janusköpfigen
Blick in die Zukunft, einen hoffnungsvollen und gleichzeitig fragenden, den
nur die Zukunft selbst beantworten kann.
”
Mein Anliegen war es, kein anschauliches Abbild einer Landschaft im Sinne
von Früher und Heute zu schaffen. Also ganz bewusst keine konkreten
landschaftlichen Situationen und Eindrücke wiederzugeben. Die zunächst
entstandenen farbigen Studienblätter, die Gegenständlichkeit in den
Skizzen waren Anlass um in eine zunehmende Abstrahierung und in eine neue
Bildordnung zu gelangen. Schein-topografische Linien, figurative Ahnungen,
Licht und Schatten bildende Formen fließen in die nun entstehenden
Landstücke ein. Dieser Zyklus ist eine intensivierte Erweiterung meines
malerischen Themengebietes Verlorene Landschaft, welches mich seit 2008
beschäftigt.
“
Wolfgang Schwarzentrub
1954 geboren, lebt und arbeitet freischaffend in Gera
seit 2008: ATELIER GALERIE UFERLOS
Studienreisen mehrfach Frankreich, Italien
1992–2000: Mitglied der Künstlergruppe „schistko jedno“ mit Produzentengalerie KUNST RAUM GERA
Diplom-Museologe (FH)
seit 1991: Mitglied Verband Bildender Künstler Thüringen und Bundesverband Bildender Künstler und
Künstlerinnen, Arbeitsgebiete: Malerei, Grafik, Objekte, Installation
zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland, Arbeiten in öffentlichen und privaten Sammlungen
Ronneburg.Semipalatinsk
Landschaft und Mensch im Wechsel ihrer Wirkungen
Essay von Jörg Wunderlich
Die Landschaft ermöglicht und prägt als geografischer Bezugsraum das Leben der in ihr lebenden Menschen.
Umgekehrt ist sie als Bühne menschlicher Handlungen aber auch Produkt ihrer Einflüsse und Gestaltungen. Offiziell
werden in Deutschland mehr als zwanzig Landschaftstypen unterschieden, von denen die allermeisten als
Kulturlandschaften, also genutzte Landschaften gelten1. Auch das Wort Landschaft
selbst hatte ursprünglich weniger
mit Natur zu tun als mit ihrer Einhegung und Nutzbarmachung. Erst die jüngere Kunst- und Kulturgeschichte
brachte die Kategorie ‚Landschaft‘ als ästhetisch aufgefassten Erfahrungsraum hervor.
Der Kulturphilosoph Georg Simmel schrieb 1913, dass Landschaft noch nicht damit gegeben sei, „dass allerhand Dinge
nebeneinander auf einem Stück Erdboden ausgebreitet sind und unmittelbar angeschaut werden.“2 Das Bewusstsein
für Landschaft müsse vielmehr „ein neues Ganzes, Einheitliches haben, über die Elemente hinweg, an ihre
Sonderbedeutungen nicht gebunden und aus ihnen nicht mechanisch zusammengesetzt.“ Was wir als Landschaft wahrneh-
men und wie wir sie wahrnehmen, ist demnach abhängig von kulturellen Prägungen, von individuellen und
kollektiven Erfahrungen. Als menschliche Subjekte erzeugen wir die Landschaft in unseren Köpfen, konstruieren sie
aus dem, was wir vorfinden, bereits wissen und gesehen haben. Simmel nennt diesen Wahrnehmungsvorgang einen
„eigentümlichen geistigen Prozess“3. Neben jeder individuell wahrgenommenen
Landschaft müssen also auch
unendlich viele weitere ungesehene existieren.
Wenn wir uns in eine Landschaft begeben, können wir ihre Elemente über die Sinne erfahren. Sie riecht, tönt, ist
begehbar, enthält Formen und Struktur. Es gibt sogar unmittelbare physiologische und psychische Reaktionen auf ihr
Erleben. Beim Spaziergang in einem Waldgebiet senkt sich nachweislich der Blutdruck, die Herzfrequenz und die
Konzentration von Stresshormonen.4 Terpene als aromatische Botenstoffe verändern
Gehirnvorgänge, wirken
immunstimulierend.5 Naturgeräusche, wie wir sie etwa in Flusslandschaften zu hören
bekommen, lassen das
Schmerzempfinden sinken und die kognitive Leistungsfähigkeit ansteigen.6 Ein
weiterer Schlüsselreiz mit
vielfältigen Wirkungen ist die Farbe. Der Farbforscher Axel Buether schreibt, dass es unmöglich ist, Farbe
losgelöst von Gefühlen und Assoziationen wahrzunehmen und begründet das mit der Physiologie des Sehapparates.
Der „Datenstrom der Farbsignale“7 führe direkt durch den
Thalamus, ein Gehirnareal, das als „Tor zum Bewusstsein“ für Emotionen verantwortlich ist. Noch bevor wir also
den Farbton des Meeres, eines Gewerbegebietes oder einer Nebellandschaft bewusst wahrnehmen, haben wir diesen
schon gefühlt und erleben die psychischen und körperlichen Reaktionen darauf — bis hin zu Veränderungen der
Körpertemperatur.
Die subtileren wechselseitigen Einflüsse zwischen Mensch und Landschaft, mit denen sich Künstler oder Geomanten
beschäftigen, gelten als weniger objektiv. Vertraut sind uns aber ihre Symboliken, die wir je nach kultureller
Prägung verinnerlicht haben und mit der wir rückwirkend die Landschaft betrachten und deuten. Landschaft wird so
zum Spiegel und kann als offen oder verschlossen, karg oder üppig, schroff oder sanft, dramatisch oder lyrisch
empfunden werden. Umweltpsychologen und Kulturanthropologen erforschen solche assoziativen Wechselwirkungen und
holen diese zurück in den Raum der objektiven Wissenschaft. Die weiträumige norddeutsche Landschaft
beispielsweise vermittelt den dort Lebenden laut einer Umfrage ein Gefühl von Freiheit8. Und ein internationales
Forscherteam fand heraus, dass Menschen in Bergregionen im Vergleich zu Personen aus flacheren Regionen emotional
stabiler, aber auch introvertierter sind.9
Natürliche Landschaften unterliegen einer fortwährenden Wandlung durch Erosion oder die Einflüsse der Biosphäre.
Der Mensch hat technologische Kräfte entfaltet, die in ihrer Dynamik alle anderen Einflüsse übersteigen. Selbst
klimatische Veränderungen oder Naturkatastrophen lassen sich kaum noch als vom Menschen getrennte Phänomene
wahrnehmen. Es gibt nicht wenige Wissenschaftler, die für die Idee eines Erdzeitalters namens „Anthropozän“
plädieren — einer ganzen geologischen Epoche benannt nach dem Lebewesen, das die Gestalt der äußeren Hülle des
Planeten prägt. Die Landschaft als einen zu bewahrenden Schatz zu begreifen, ist eine Haltung die unserer
derzeitigen Lebensweise widerspricht. Kategorien wie ‚heilig‘ oder ‚unantastbar‘ finden keine Anwendung; alles
ist im Widerstreit der Interessen auszuhandeln. Die Belange des Schutzes unterliegen so in vielen Fällen dem
wirtschaftlichen Willen, aus einer Landschaft eine auszubeutende Ressource zu machen oder Infrastrukturprojekte in
ihr zu realisieren. Autobahnen zerschneiden Flussauen, Bohrer perforieren Grasland, Hotelbauten bepflastern
Küstenstreifen, Sojaplantagen verdrängen Regenwald.
Der noch junge Fachbegriff ‚Solastalgie‘ bezeichnet ein Verlustgefühl, das Menschen belastet, wenn sie
Veränderungen und Zerstörung ihres heimatlichen Lebensraumes erleben müssen — etwa durch Katastrophen und Krieg,
aber auch durch Rodungen, Bergbau oder Industrialisierung. Als sich die Umgebung der Kurstadt Ronneburg im Zuge
der bergbaulichen Erschließung nach 1949 rasant zu verändern begann, stand dieses Wort noch nicht zur Verfügung.
In der Logik des beginnenden Kalten Krieges war die Möglichkeit der Förderung von Uran gleichbedeutend mit der
Frage der Existenz. Nur wer genug Uran förderte und zu waffenfähigem Material aufbereitete, so die Logik der
Abschreckung, konnte sicher gehen nicht angegriffen zu werden. Der mineralische Schatz unter Ronneburg, das
größte Uranvorkommen Europas, bestimmte das Schicksal der Kulturlandschaft nahe der Stadt. Das Gessental
zwischen Gera und Ronneburg ähnelte zuvor den idealtypischen Sonntagslandschaften des 19.Jahrhundert, die mit
Wörtern wie „lieblich“ und „idyllisch“ umschrieben werden konnten. Das Motiv einer Wassermühle fand sich gleich
mehrfach in ihr, ebenso mäandernde Bachläufe, Felsvorsprünge und Bauminseln. In dieser Umgebung entstand nun mit
dem Tagebau Lichtenberg eine riesige Vertiefung von bis zu 240 Metern, eine Landschaft des terrassenförmigen
Aushubs und der künstlichen Ausstülpung. Als
„Pyramiden von Ronneburg“ beherrschten vier spitzkeglige schwarzgraue Abraumhalden weithin den Blick. Mehrere
landschaftsprägende bäuerliche Ortschaften mussten dem heranrückenden Tagebau weichen, für den bis zu 150
Millionen Kubikmeter Erdmasse bewegt wurden, dem 60-fachen Volumen der Cheopspyramide.
Mythologisch ist der Bergbau mit Erzählungen von schwer zugänglichen Höhlenlandschaften verbunden, in denen
Schätze von Elementargeistern bewacht werden. Uranerz wurde bei Ronneburg nicht nur im offenen Tagebau, sondern
auch unterirdisch abgebaut. Die von den Wismutkumpeln erlebte Untertagelandschaft stellte sich vermutlich wie
eine Antipode zur Urlaubslandschaft von Zinnowitz dar. Statt in einer organischen Umwelt bewegten sie sich in
schwarzglänzenden mineralischen Erzschichten, durchzogen von Rohrleitungen und Schienensträngen, statt
lichthafter Weite erlebten sie horizontlose Begrenztheit und Dunkelheit der Stollengänge, statt sauberer Atemluft
inhalierten sie radioaktiven Staub. Insgesamt nahmen die verzweigten Untertage-Landschaften der WISMUT eine Länge
von mehreren tausend Kilometern ein10. Der aus dem Dunkeln gehobene Schatz, das
Uran, hatte wiederum selbst das
Potenzial, Landschaften zu verändern — durch die atomaren Explosionen, die es ermöglichte. Die Region um
Semipalatinsk in Kasachstan wurde in der Ära der oberirdischen Atomtests übersät mit künstlichen Kratern und
ähnelt heute in Teilen der Mondoberfläche. Die Landschaftsverwüstungen des Atomzeitalters durchziehen die gesamte
Produktionskette — von der bergbaulichen Förderung und Aufbereitung bis zur Anwendung in Reaktoren oder Bomben und
der anschließenden „Entsorgung“. Ein apokalyptisches Paradox ist, dass die Sperrzone um Tschernobyl heute ein in
Europa einmaliges Paradies für Pflanzen und Wildtiere darstellt.
„Unzerschnitten“ oder „unverritzt“ — diese Wörter, mit denen in der Landschaftsökologie naturnah gebliebene
Räume bezeichnet werden, sind ein Vokabular, das auf ein Bewusstsein von Verletzung hinweist. Die
Tagebaulandschaft von Ronneburg war eine offenkundige
Verwundung einer über Jahrtausende gewachsenen Kulturlandschaft. In ihrer sprungartigen Metamorphose ähnelte sie
einer Katastrophe. Die „Folgelandschaft“ kann diese weder heilen noch ungeschehen machen. Nach erheblichen
Anstrengungen und einem langjährigen Renaturierungsprogramm entstand bei Ronneburg eine weitläufige, wie offenes
Grasland anmutende Freizeit- und Erinnerungslandschaft. In der Wahrnehmung dieser
„Neuen Landschaft“ ist die Episode des Uranbergbaus enthalten. Ein Teil der unterirdischen Stollenlandschaften ist
als Schaubergwerk für die Öffentlichkeit erlebbar. Als symbolträchtige Nachfolgeindustrie entstand im Gelände der
größte Solarpark Thüringens. Die identitätsstiftenden Kegelhalden, die während der Wismut-Ära zu neuen Wahrzeichen
der Region wurden, sind wieder abgetragen und verfüllt worden. Dafür erhebt sich ein neuer künstlicher Berg, der
die größte natürliche Erhebung der Gegend um mehrere Meter überragt. Das Gessental zwischen Ronneburg und Gera
konnte biologisch und auch landschaftlich in einer beachtlichen Vielfalt wieder erblühen.
Die neue Landschaft Ronneburg ist Ausdruck einer gewachsenen Sensibilität der Gesellschaft für Landschaftsschäden.
Sie birgt deshalb eine Hoffnung, dass es der Menschheit gelingt, die natürliche Umwelt mit der Industriekultur zu
versöhnen. Der naturzerstörerische
Uranbergbau findet jetzt außerhalb Deutschlands statt. Im mitteldeutschen Revier heißt der neue ungehobene
Schatz heute Lithiumsalz und wartet im Osterzgebirge auf seine Erschließung. Die Frage, wem dieser Schatz gehört
und wer ihn hebt ist ein Politikum, aber kaum Gegenstand gesellschaftlicher Diskussion. Nach wie vor nimmt das
Bergbaurecht mit seinem Zugriff auf Landschaften eine hoheitliche Sonderstellung ein.
2Georg Simmel: Philosophie der Landschaft, ersch. in: Die Güldenkammer. Eine bremische
Monatsschrift,
herausgegeben von Sophie Dorothea Gallwitz, Gustav Friedrich Hartlaub und Hermann Smidt, 3.Jg., 1913, Heft II